1938 – Neuheiten und Zwangsverkauf


Die TRIX EXPRESS-Neuheiten des Jahres 1938

Auch im Herbst 1938 bekamen die TRIX EXPRESS-Freunde weitere interessante Modelleisenbahn-Neuheiten angeboten. TRIX stellte auf der Leipziger Herbstmesse vom 28. August bis 1. September 1938 erneut in der Koje 504 des Messehauses Petershof aus. Der Neuheitenumfang blieb zwar etwas hinter der Fülle des Vorjahres 1937, in dem die neue Modellserie eingeführt wurde, zurück. Dafür wurde mit zwei Entkupplungssystemen die Bedienbarkeit der Modelleisenbahn deutlich verbessert.

Das Hauptthema lautete: Fernsteuerbares Entkuppeln !

Der TRIX EXPRESS-Katalog des Jahres 1938 hebt vier wichtige Neuheiten hervor:

  • TRIX „Automatic“ D.R.P.a., die 2 C 1-Schnellzuglokomotive mit fernsteuerbarer Entkupplung
  • fernsteuerbares Entkupplungsgleis
  • beleuchtete Weichenlaternen
  • Hochleistungsfahrregler


Die große 2 C 1 Schnellzuglokomotive 20/59 (Weiterentwicklung der 20/57) erhielt im Tender mit der TRIX „Automatic“ D.R.P.a. einen fernsteuerbaren Entkupplungshaken, mit dem der Zug an jeder gewünschten Stelle der Gleisanlage abgekuppelt werden konnte (das Bild zeigt einen ansonsten baugleichen Nachkriegstender mit langen Puffern). Dies war die erste fernsteuerbare Entkupplung einer Tischbahn-Lokomotive in der Spur 00. Der Mitbewerber Märklin konnte eine vergleichbare Entkupplung erst in den 1950er Jahren anbieten.


Zusätzlich wurde das neue fernsteuerbare Entkupplungsgleis 20/12 herausgebracht, auf dem eine darüberstehende Kupplung ausgekuppelt werden konnte. Damit konnten auch Wagenzüge an beliebiger Stelle getrennt werden. Voraussetzung war, dass die Wagenkupplung über einen Ausheber verfügte. Die Wagen des Jahres 1938 erhielten diesen Ausheber aus schwarz lackiertem Blech bereits ab Werk, die Wagen des Jahres 1937 mit der Blechhakenkupplung konnten nachgerüstet werden. Wagen mit älteren Kupplungen der Jahre 1935 und 1936 konnten nicht angepasst werden. Beim Bild oben besitzt der rechte Wagen den Ausheber, der linke Wagen den Bügel (letzterer ist bereits angehoben).


Die bewährten elektromagnetischen Weichen erhielten nun beleuchtete Weichenlaternen und wurden unter der Katalognummer 20/28 angeboten.

Der neue Hochleistungsfahrregler 20/45 war für beleuchtete Züge mit ihrem höheren Stromverbrauch notwendig geworden.

Für die kleinen zweiachsigen B-Lokomotiven wurde ein neues verstärktes Fahrwerk (das „dicke“ Fahrwerk) mit geänderter Schaltwalze konstruiert.

Im Zubehörbereich ergänzten weitere Bahnsteige und Bahnhöfe in Blechbauweise aus der Kooperation mit der Böblinger Firma Kibri das Gebäude-Sortiment.


Das Patent 690 176 zur TRIX „Automatic“-Entkupplung

Patent-Automatic-Titel

Als Erfinder des Patentes 690 176 ist Oswald Fischer in Nürnberg benannt, als Inhaber die „Vereinigte Spielwaren-Fabriken Andreas Förtner & J.Haffner´s Nachf. in Nürnberg“. Auf diesen Namen lautete das von Stefan Bing und seinen Partnern übernommene Unternehmen, in dem die TRIX Baukästen und die TRIX EXPRESS Modelleisenbahnen entwickelt und produziert wurden. Im Inhabernamen fehlt aber bereits die Rechtsform G.m.b.H., sie entfiel nach der Übernahme des Unternehmens durch Ernst Voelk Mitte 1938.

Das Patent trägt den Titel: Fernschaltbare, mittels eines in einem Fahrzeug angeordneten Elektromagneten zu betätigende Kupplungs- und Entkupplungsvorrichtung für elektrische Spielzeugeisenbahnen

Patentiert wurde die Erfindung zur TRIX „Automatic“-Entkupplung ab den 21. Januar 1938, die Bekanntmachung des Patentes erfolgte erst rd. zwei Jahre später am 28. März 1940.

Die folgende Zeile weist auf die beginnende Expansion des Deutschen Reiches hin. Am 12. März 1938 marschierten deutsche Wehrmachts-, SS- und Polizeieinheiten in Österreich ein. Mit einer Zusatzerklärung konnte der Geltungsbereich deutscher Patente auf Österreich ausgedehnt werden.


Patent-Automatic-Zeichnung-02

Dieser Teil der Patentzeichnung zeigt die Lokomotive mit dem erweiterten Schaltwerk. Die Kontaktflächen der Schaltwalze wurden genutzt, um einen Stromimpuls zur Aktivierung der Entkupplung abzugreifen.


Patent-Automatic-Zeichnung-03

Im Tender der Lokomotive wurde eine elektromagnetische Spule montiert (baugleich mit der Spule des Weichenantriebes), die über eine Hebelmechanik den Kupplungshaken entlastet und abfallen lässt.

Die vollständige Beschreibung dieser Erfindung ist in der Datenbank des Deutschen Patentamtes in der Patentschrift 690 176 zur TRIX „Automatic“-Entkupplung nachlesbar (6 Seiten).


Zwangsverkauf und Auswanderung der Firmengründer

Für den jüdischen Firmengründer Stephan Bing und seine jüdischen Partner (das Bild zeigt Stephan Bing zusammen mit seinem Sohn Franz, vermutlich im Mai 1938 im Speisewagen aufgenommen) standen 1938 existentielle Fragen im Vordergrund. Die Zukunft des von ihnen geführten Unternehmen „Vereinigte Spielwarenfabriken Andreas Förtner & J. Haffner´s Nachf. GmbH, Nürnberg“ war von der Politik der Nationalsozialisten bedroht.

Bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurden jüdische Mitbürger zunehmend bedrängt und im öffentlichen Leben benachteiligt. Ein Ziel der Nationalsozialisten war es, Juden aus dem Wirtschaftsleben zu verdrängen. Am 1. April 1933 kam es zum organisierten Boykott und zur Zerstörung von Läden, Handwerksbetrieben und Praxen jüdischer Inhaber; gleichzeitig entließen erste Großunternehmen jüdische Mitarbeiter.

Im Monat April 1933 wurden weiterhin mehrere Verordnungen und Gesetze erlassen, um die Erwerbsmöglichkeiten jüdischer Bürger einzuschränken und damit defakto Berufsverbote zu erlassen:

  • Aus den Berufsvereinigungen oder Berufskammern (z.B. der Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten etc.) wurden jüdische Mitglieder ausgeschlossen und dadurch mit Berufsverbot belegt
  • Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde die Rechtsgrundlage zur Entlassung jüdischer Beamter geschaffen.
  • An den deutschen Schulen und Hochschulen traten Zulassungsbeschränkungen bei „nichtarischer Abstammung“ in Kraft.


[ Bildquelle: Deutsche Fotothek Dresden – df_e_0000001 – Nutzungsgenehmigung vom 14.12.2009 ]

Auch der jüdische Photograph Fritz Eschen, von dem die bekannte Nachtaufnahme am Anhalter Bahnhof stammt (TRIX Katalog 1937 und TRIX Handbuch 1:90, siehe obiges Bild), wurde Ende 1933 aus dem Reichsverband der Deutschen Presse ausgeschlossen, arbeitete aber unter anderen Namen weiter.

Im September 1935 folgte mit den Nürnberger Gesetzen (auch Nürnberger Rassengesetze genannt) eine weitere juristische Grundlage für die rassistische Verfolgung und Ausgrenzung nicht nur jüdischer Menschen.

Schaut man heute rückblickend auf die Jahre 1933 bis 1937, so haben sich Stephan Bing und seine Partner von diesen Entwicklungen nicht in ihrem Elan bremsen lassen. Trotz der sich ständig verschärfenden Rahmenbedingungen in Deutschland bauten sie die TRIX EXPRESS-Modelleisenbahn weiter aus. Jahr für Jahr wurden wegweisende TRIX-Neuheiten in einem beeindruckenden Umfang vorgestellt und erfolgreich angeboten.

Selbst bei der Anmeldung der Patente für die zahlreichen Erfindungen waren jüdische Bürger benachteiligt. Obwohl die Nennung der Erfinder vorgeschrieben war, findet man z.B. den Namen Siegfried Kahn in den deutschen Patenten nicht. In den gleichlautenden Patentschriften und Zeichnungen für Großbritannien und für die USA hingegen wird sein Name genannt.

Anfang 1938 mussten aber auch Stephan Bing und seine Partner erkennen, dass sie in ihrem Heimatland Deutschland keine Zukunftsperspektive mehr haben würden. Um einer bevorstehenden Enteignung und der Bedrohung ihrer persönlichen Freiheit zuvorzukommen, willigten sie im Frühjahr 1938 in den Zwangsverkauf ihrer Firma und in die Auswanderung ein. Zugute kam ihnen, dass in England mit der TRIX Ltd. bereits ein Tochterunternehmen für den dortigen Vertrieb gegründet war.

Am 27. April 1938 / 12. Mai 1938 wurde zwischen den Verkäufern „jüdischer Rasse“ (den Gesellschaftern Stephan Bing, Hermann Oppenheim und Siegfried Kahn) und dem „Arier“ Ernst Voelk, als Käufer (der Anfang 1936 schon die Blechspielwarenfabrik Johann Distler KG arisiert hatte) für die Vereinigten Spielwarenfabriken Andreas Förtner & J. Haffner’s Nachf. GmbH in Nürnberg der entsprechende Kaufvertrag ausgefertigt, um den Betrieb zu arisieren und die unfreiwillige Auswanderung der Eigentümer im Sinne der geltenden Gesetze voranzutreiben.

Acht Seiten umfasste der Kaufvertrag von 1938.


In der Deutschen Spielwarenzeitung vom Mai 1938 wurde zu diesem Vorgang wie folgt vermeldet:

Dem Zuge der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik im völkischem Sinne folgend, hat der Leiter der Fachgruppe Spielwaren- und Christbaumschmuck-Industrie, Nürnberg, Herr Voelk, der Inhaber der Firma Johann Distler K.-G., die Firma „Vereinigte Spielwarenfabriken“, Andreas Förtner & J. Haffner’s Nachf. G.m.b.H., Nürnberg, als persönlich haftender Gesellschafter einer vom ihm gegründeten Kommanditgesellschaft erworben.

Wir geben der Überzeugung Ausdruck, dass diese Umstellung nicht nur den Vereinigten Spielwarenfabriken, Nürnberg, sondern auch der gesamten Spielwarenindustrie zum Vorteil gereichen wird.


Am 9. Juni 1938 emigrierten Stephan Bing, Hermann Oppenheim und Siegfried Kahn nach England. Sie konnten dort, wieder unterstützt durch den englischen Modellbahn-Pionier Wenman Joseph Bassett-Lowke, am Ausbau des englischen Sortimentes der Marke TRIX TWIN RAILWAY weiterarbeiten. Dabei waren sie gemäß den Regelungen des Kaufvertrages verpflichtet, weiterhin Lieferungen vom deutschen TRIX-Werk zu beziehen. So wurden deutsche Lokomotiven importiert, die in England mit Gehäusen und Tendern landestypischer Gestaltung aus der dortigen Fertigung ausgestattet wurden.


Nur wenige Monate später, in der Nacht des 9. November 1938, brannten in Deutschland die Synagogen. Allein in diesen Tagen wurden 400 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben. Kurz danach setzen die Massenverhaftungen ein; die Konzentrationslager im Reichsgebiet waren bereits im Laufe des Jahres 1938 massiv ausgebaut worden.


Mit dem Deutschen Überfall auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Bereits im März 1938 erfolgten der Anschluss Österreichs sowie im Oktober 1938 die Angliederung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich.


Am 19. April 1940 starb der Kommerzienrat und ehem. Nürnberger Handelsrichter Stephan Bing in England im Alter von nur 59 Jahren an einer Herzattacke. Der Zweite Weltkrieg tobte inzwischen seit über sieben Monaten in Europa. Nur wenige Tage vorher, am 9. April 1940, begann die deutsche Invasion in Norwegen.


Tony Matthewman, der Autor des Buches „History of TRIX“ schreibt hierzu:

In Britain it was a traumatic time for the Bing family and other personnel, as men of German origin at Trix were interned at the start of the war on the isle-of-Man for a few weeks, just at a time when all their endeavours were required to run the business. All this disruption and worry took its toll, and Stephan Bing, the founder of Trix died of a heart attack on 19 April 1940. His daughter, Mrs. L.Sommer took his place on the board of directors in June of that year.


Die genauen Todesumstände und der Todesort von Stephan Bing liegen bislang im Dunkeln. So ist die Frage ungeklärt, warum er so früh interniert wurde. Wenn man die Schicksale anderer in Großbritannien internierter Deutscher betrachtet, setzte die Internierungswelle erst im Mai 1940 zeitgleich mit dem deutschen Einmarsch in den Benelux-Ländern im großen Umfang ein. Dabei war es unerheblich, ob die Emigrierten vor der Verfolgung aus Deutschland geflohen waren. Es wurde kein Unterschied gemacht: Juden, Künstler, Sozialisten, Kommunisten aber auch enttarnte Anhänger des Nazi-Regimes wurden in denselben Lagern interniert. Erst ab Herbst 1940 wurde differenzierter vorgegangen.


Der Zweite Weltkrieg endete am 8. Mai 1945, Deutschland war von den Truppen der Alliierten Siegermächte besetzt. Am 21. Juni 1948 wurde in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands die Währungsreform vollzogen, bei der die Deutsche Mark als Ersatz für die wertlos gewordene Reichsmark eingeführt wurde.

Die Erben der ehemaligen jüdischen Eigentümer (Hermann Georg Oppenheim, Franz Bing und Lilly Sommer, geb. Bing) strengten am 8. Juli 1948 über den Rechtsanwalt Dr. Georg Wurzer, Nürnberg, Wiedergutmachung und Rückerstattung des 1938 arisierten Firmenvermögens an. Mit Niederschrift vom 4. Mai 1949 wurde ein Vergleich zwischen den alten und neuen Eigentümern vor dem Bayer. Landesamt für Wiedergutmachung vereinbart.

Ernst Voelk schrieb in einem Brief vom 23. Juli 1958 an das Bayerische Landesentschädigungsamt u.a.:

„Zweifellos ist Ihnen bekannt, daß über dieses gesamte Vermögen Rückerstattungsansprüche geltend gemacht wurden und das Verfahren durchgeführt wurde, mit dem Endergebnis für die jüdischen Vorbesitzer, daß sie 58 % der GmbH-Anteile rückerstattet erhielten. Allerdings wurden diese Anteile von mir sodann käuflich zurückerworben, sodaß heute keinerlei Ansprüche mehr bestehen.“


Quellenhinweis: Zur Firmengeschichte der „Vereinigten Spielwarenfabriken Andreas Förtner & J. Haffner’s Nachf. GmbH“ hat Bernhard J. Schwarz umfangreiches Quellenmaterial ausgewertet und auf seiner Internet-Seite Zinnfiguren – Bleifiguren dokumentiert. Wer sich über die TRIX-Geschichte informieren will, wird dort in den Firmengeschichten von Bing und Haffner fündig.



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